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128. Deutscher Ärztetag in Mainz

Ärzteschaft unter Druck

Ärzteschaft unter Druck

Vom 07. bis 10. Mai tagte in Mainz das „Parlament der Ärzteschaft“ | Foto: ÄKSA

Sechs Anträge, sieben Delegierte, eine Mission: Sich beim 128. Deutschen Ärztetag in Mainz vom 7. bis 10. Mai 2024 einsetzen, engagieren und streiten für ein gesundes Gesundheitssystem in diesem Land, für die Ärzteschaft in Praxen und Kliniken, in der Stadt und auf dem Land, für umfassend (aus-)gebildeten Nachwuchs, für Weiterbildung, Fortbildung und ein gesundes Umfeld mit Perspektiven.

Das Ziel: Die bestmögliche medizinische Versorgung aller Patientinnen und Patienten Sachsen-Anhalts und bundesweit. Im drohenden Schatten der geplanten und umstrittenen Krankenhausreform des Bundesgesundheitsministers stand eigentlich von vornherein fest, dass die Woche vom 07. bis 10. Mai eine schwierige werden würde. Dennoch schwang die Hoffnung mit, dass eine geeinte Ärzteschaft doch noch wichtige Impulse und Akzente würde postulieren können. Sachsen-Anhalt wurde dabei vertreten von Dr. Petra Bubel, Thomas Dörrer, Dr. Frank Lautenschläger, Dr. Carola Lüke, Prof. Hermann-Josef Rothkötter, PD Dr. Christine Schneemilch sowie Henrik Straub. Prof. Uwe Ebmeyer nahm als Präsident der Ärztekammer Sachsen-Anhalt auf dem Präsidium der Bundesärztekammer Platz.

Bereits am Vortag der Eröffnung in Mainz tagte das von der Bundesärztekammer initiierte Dialogforum mit jungen Ärztinnen und Ärzten zum Thema „Ärztliche Weiterbildung – Wunsch und Wirklichkeit“. Die Kritik des ärztlichen Nachwuchses lässt aufhorchen: Es existieren zu wenig Struktur, zu wenig Flexibilität innerhalb der Weiterbildung. Beklagt wurden didaktisch ungeschulte Weiterbildungsbefugte. Eine junge Ärztin erzählte, sie habe ihren Weiterbildungsbefugten noch nie gesehen. Ein Mentoring-Programm wäre wünschenswert. Oftmals fühlen sich die jungen Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung als günstige Arbeitskräfte eingesetzt, dabei wünsche man sich eine direkte und gute Weiterbildung inklusive Wertschätzung.

Ein anderes Thema, was die junge Ärzteschaft umtreibt: Das Berufsverbot für schwangere Ärztinnen, das zur Untätigkeit zwinge – obwohl in vielen Bereichen ein weiteres Arbeiten sehr wohl denkbar wäre. Dazu käme das Fehlen von Kitas, die die realen Arbeitszeiten auffangen – damit würde entgegen den eigenen Wünschen Teilzeit geradezu erzwungen. Beklagt wird auch die zunehmende Arbeitsverdichtung und die lange Weiterbildungszeit.

Bei aller Kritik wurde an diesem Tag aber auch deutlich: Es gibt eine junge, kluge und engagierte Ärzteschaft mit Leidenschaft für den Beruf. Sie sorgt sich ernsthaft um ihre Ausbildung, um die Patientinnen und Patienten und deren Versorgung. Sie ringt um Lösungen, und sie kämpft um eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Man muss sie hören – und ernst nehmen.

Der Präsident der Ärztekammer und unsere Delegierte (v. l. n. r.): Prof. Hermann-Josef Rothkötter, Dr. Frank Lautenschläger, Dr. Petra Bubel, Dr. Carola Lüke, PD Dr. Christine Schneemilch, Prof. Uwe Ebmeyer, Henrik Straub, Thomas Dörrer

Der wohl stärkste Moment gelang dem Ärzteparlament gleich zu Beginn, am Tag der Eröffnung in der Rheingoldhalle: Das klare Bekenntnis der Ärzteschaft zu Pluralismus, Demokratie, Freiheit und Vielfalt in Form einer einstimmig verabschiedeten Resolution „Nie wieder ist jetzt!“. Das war groß, das war notwendig und beeindruckend. Und es zeigte, welche Wucht Worte haben können, setzt man sie klug ein – und relativiert sie nicht. Gleich vorweg: Das sollte im Laufe dieses Ärztetages nicht immer der Fall sein. Aber der Reihe nach.

Nach zumeist kurzweiligen, klugen und klaren Sätzen zur Begrüßung unter anderem von Dr. Günther Mattheis (Präsident der gastgebenden Landesärztekammer Rheinland-Pfalz) und einer bewegenden Totenehrung war es an Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), die Rede – man kann es schon fast so nennen – „zur Lage der Nation“, zu halten. Natürlich ging es dabei um die drohende Klinikreform oder besser Gesundheitsreform von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD). Noch kurz vor Beginn des Ärztetages hatte dessen Expertenkommission zur sektorübergreifenden Krankenhausversorgung empfohlen, die sogenannte doppelte Facharztschiene (Facharztbehandlung in der Klinik und ambulant) abzuschaffen, da sie angeblich erhebliche Fehlsteuerungen und Probleme verursache – was in der Ärzteschaft für enormen Ärger sorgte und vor der Rheingoldhalle für eine lautstarke Demonstration für ein gesundes Gesundheitssystem. „Binden Sie den Sachverstand der Ärzteschaft mit ein“, forderte BÄK-Präsident Reinhardt daher direkt an Lauterbach gerichtet. „Wir wissen, wie es tatsächlich in den Praxen, in den Krankenhäusern und auch bei unseren Patientinnen und Patienten zu Hause aussieht, wie die Kolleginnen und Kollegen trotz überbordender Bürokratie, trotz fehlendem Personal und unzureichenden Mitteln Tag für Tag versuchen, jedem Einzelnen gerecht zu werden.“ Er forderte einen ständigen Gesundheitsgipfel im Kanzleramt. Nun ist das mit den Forderungen so eine Sache: Man kann sie aufstellen, verkünden, laut hinausposaunen – wenn der Adressat sie nicht hören mag oder hört, wohlwollend nickt und doch etwas anderes tut, verhallen sie eben einfach. Und so lauschte der anwesende Karl Lauterbach andächtig, um dann der Ärzteschaft für ihre Dienste zu danken, noch einmal seine Sicht der Dinge darzustellen bzw. die Reformpläne als großen Wurf zu verkaufen. Er erntete milden Applaus aber auch Buh-Rufe, als er den Arzt-Light ins Gespräch brachte. Fast schon ein Running-Gag, wenn auch ein bitterer, ist der Verweis auf die seit Jahren ausstehende Anpassung der GOÄ: Wie Lauterbach schmal lächelnd verkündete, wolle er das einmal prüfen.

Der Bundesgesundheitsminister (l.) vor der Eröffnung des Deutschen Ärztetages. Rechts neben ihm Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer

Hohe Auszeichnung für Prof. Hans Lippert (r.) durch Dr. Klaus Reinhardt

Aus Sicht unseres Bundeslandes gab es an diesem ersten Tag zunächst eine höchst angenehme Überraschung: Die Ärzteschaft zeichnete neben Dr. Astrid Bühren und Prof. René Gottschalk den hierzulande sehr bekannten und geschätzten Prof. Hans Lippert mit der Paracelsus-Medaille aus – die höchste Würdigung der Zunft. Der heute 78-jährige Lippert war unter anderem Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik Magdeburg. Unter seiner Leitung entwickelte sich dort die Transplantationschirurgie. Schlagzeilen schrieb er als Vorsitzender der Überwachungskommission der Bundesärztekammer: Er war maßgeblich daran beteiligt, den Transplantationsskandal im Jahr 2012 aufzuarbeiten und Maßnahmen zur Verhinderung ähnlicher Vorfälle zu ergreifen. Die Ehrung ein wirklich schöner Moment.

Die Ärztekammer Sachsen-Anhalt war mit sechs Anträgen im Gepäck angereist. Doch von nun an hieß es vor allem abwarten – insgesamt standen über 240 Anträge zur Beratung und Abstimmung. Legte der Vorstand der Bundesärztekammer noch einen dosierten und ernstzunehmenden Arbeitsvorschlag für die aktuelle Reformdebatte vor, der unter anderem für eine Kooperation und Koordination warb, feilschte man in den anschließenden Diskussionen im Plenum um Kleinigkeiten und Befindlichkeiten. Fast verlor man sich in Debatten über die Geschäftsordnung, echte Themen rutschten durch oder weit nach hinten. Bei allem Jubel, Trubel, Tränen inklusive. Dass BÄK-Präsident Reinhardt die Nerven behielt und wie ein geduldiger Spielleiter moderierte und den Überblick bewahrte, war beeindruckend.

Fachärzte, Hausärzte, Klinikärzte: Da fehlte einiges von der gerade jetzt so wichtigen Einigkeit der Ärzteschaft. Nach langem und zähem Ringen und Diskutieren konnte man sich einigen, sich für eine patientengerechte und effektivere Steuerung der Gesundheitsversorgung in Deutschland einzusetzen. Momentan prägen ein „kaum gesteuerter Zugang und eine unstrukturierte Inanspruchnahme“ das System. Die Herausforderung für die Versorgung der Patienten liegt da auf der Hand. Der Ärztetag sprach sich daher für den Ausbau der hausarztzentrierten Versorgung und eine bessere Steuerung des Zugangs zur Notfallversorgung aus.

Hausarzt Thomas Dörrer spricht zum Antrag Ambulante Weiterbildung in der Kinder- und Jugendmedizin

Streit und Diskussionen entzündeten sich dagegen an Themen wie Sponsoring von Fortbildungsveranstaltungen, der Forderung nach verpflichtenden Train-The-Trainer-Seminaren für Weiterbildungsbefugte und wer die Kosten daran tragen solle, an der Bezahlung von Ärzten in Weiterbildung.

Und soll man die Homöopathie aus der GOÄ streichen? Gestritten wurde um Klimaneutralität bei Fortbildungen, um Gendermedizin, das komplexe Thema Schwangerschaftsabbruch, wobei bei allen Themen das letzte Wort wohl noch nicht gesprochen ist –auch wenn es einige mitunter gern gehabt hätten. Immerhin konnte man in Sachen Abtreibung einen Kompromiss erringen und beschloss, daraus ein Schwerpunktthema des kommenden Ärztetages 2025 in Leipzig zu machen.

Und der Status für die Beschlussanträge der Ärztekammer Sachsen-Anhalt? Angenommen wurde die Forderung an die Gesellschafter der Gematik, die Telematikinfrastruktur (TI) zeitnah effizienter, sicherer und stabiler zu entwickeln und zwar so, dass der kostenaufwendige Konnektorentausch überflüssig wird. Der Antrag auf eine Erhöhung der Studienplätze im Bereich der Humanmedizin mit einer geeigneten Bund-Länder-Finanzierung sowie die Forderung, durch Maßnahmen wie einer europäischen Wirkstoffherstellung die Arzneimittelversorgung sicherzustellen, wurden ebenfalls angenommen.
An den Vorstand der Bundesärztekammer wurde der wichtige Antrag verwiesen „Verpflichtende ambulante Weiterbildungszeit im Fachgebiet der Kinder- und Jugendmedizin“.

Eine detaillierte Darstellung der weiteren Beratungen findet sich im Deutschen Ärzteblatt 10/2024 vom 17. Mai 2024.

Unser Delegierter Thomas Dörrer, der am letzten Tag, den Antrag endlich präsentieren konnte, zeigte sich zufrieden: „Es ist wichtig, dass sich damit im Vorstand befasst wird. Und das haben wir erreicht.“ An den Vorstand der Bundesärztekammer gingen auch die Beschlussanträge „Vergütung ärztlicher Befundberichte und Gutachten“ sowie der Antrag in Sachen Organspendegesetz noch einmal die Widerspruchslösung in die parlamentarische Diskussion zu bringen.

Ein freundlicher Punkt war die Bewerbung der Ärztekammer Niedersachsen für den 130. Deutschen Ärztetag in Hannover – die mit großer Mehrheit angenommen wurde. Er findet vom 12. bis 15. Mai 2026 statt.

Viel mehr hätte dieser Ärztetag auf den Weg bringen können (und müssen), am Ende reichte die Zeit (mal wieder) nicht. Aber Demokratie ist eben nicht nur ein Geschenk, sie ist harte Arbeit und anstrengend. Etwas mehr Fokus und Kompromissbereitschaft von manch Vertretern größerer Ärztekammern hätten dennoch geholfen, der Stimme der Ärzteschaft gegenüber der Politik in Berlin gerade in der Reformdebatte mehr Gewicht zu verleihen. Aber so – der Gesundheitsminister lächelt weiter sibyllinisch und der oft rätselhaften Gesundheitspolitik fehlt weiter grundlegender ärztlicher Sachverstand.

K. Basaran

Dr. Frank Lautenschläger (r.) stimmt für Sachsen-Anhalt ab. Links im Bild: Prof. Hermann-Josef Rothkötter

Der Kammerpräsident auf dem Podium

Fotos: ÄKSA