Einleitung
Die Covid-19-Pandemie stellt Gesundheitssysteme weltweit seit Ende Dezember 2019 vor große Herausforderungen (1). Diese betreffen nicht nur die Akutversorgung von schwer erkrankten Patientinnen und Patienten, sondern auch die Versorgung von Personen mit länger anhaltenden Krankheitsfolgen (2). Seit Beginn der Pandemie zeigt sich, dass eine durchgemachte SARS-CoV-2-Infektion bisweilen zu persistierenden Beschwerden führen kann (3–9) und ein bedeutendes Public-Health-Thema darstellt (10).
Eine erste Einteilung und grobe Orientierung dieses neuen Krankheitsbildes geben die NICE-Guideline (11), die S1-Leitlinie Post-Covid/Long-Covid (12) sowie die WHO (13). Die Definitionen variieren jeweils (14), wobei sich inzwischen die auch vom Robert Koch-Institut (RKI) genannte Definition durchsetzt: Long-Covid bezeichnet Beschwerden infolge einer SARS-CoV-2-Infektion, die über die akute Krankheitsphase von 4 Wochen hinaus bestehen; vom Post-COVID-Syndrom bzw. Post-COVID-Zustand wird gesprochen, wenn die Beschwerden 12 Wochen nach einer SARS-CoV-2-Infektion noch vorliegen oder neu aufgetreten und nicht anderweitig erklärbar sind (10).
Das als Post-Covid-Syndrom bezeichnete Krankheitsbild tritt auch nach milden Infektionen auf (15) und wird meist mit Prävalenzen zwischen 10 und 35 % angegeben (7), wobei sich die Prävalenzangaben nach Publikation stark unterscheiden (6, 10, 16). Long-Covid-/Post-Covid-Symptome sind sehr heterogen und betreffen das gesamte Organsystem; zu den am häufigsten genannten Symptomen zählen Fatigue, Dyspnoe, Kopfschmerzen, Leistungseinschränkungen (12) respektive Fatigue, Einschränkungen des Geruchssinns (1) respektive Fatigue, kognitive Beeinträchtigungen (auch „Brain fog“ genannt) und respiratorische Beschwerden (10). Die medizinische Versorgungssituation von betroffenen Patientinnen und Patienten wird in mehreren Forschungsprojekten untersucht (17). Neben haus- und fachärztlichen Angeboten werden auch neu entstandene Spezialeinrichtungen – wie beispielsweise an den Medizinischen Fakultäten angesiedelte Long-Covid-Ambulanzen – in Anspruch genommen (4).
Im Mittelpunkt der explorativen Datenerhebung stehen folgende Forschungsfragen:
- Wie viele Personen geben nach einem positiven PCR-Test auf SARS-CoV-2 persistierende Beschwerden an?
- Welche Symptome sind am häufigsten? Wie lange halten diese an?
- Welche medizinische Versorgung wird von den Betroffenen in Anspruch genommen?
Patientinnen/Patienten und Methoden
Um abzuschätzen, wie hoch die Prävalenz von Patientinnen und Patienten mit persistierenden Beschwerden nach einer SARS-CoV-2-Infektion in der hausärztlichen Versorgung ist, wurden retrospektiv alle Personen eines hausärztlichen PCR-Testzentrums mit positivem Erregernachweis zu Krankheitssymptomen und eventuell persistierenden Beschwerden befragt. Die Patientenbefragung erfolgte anhand eines standardisierten Onlinefragebogens mit dem Befragungstool SoSci Survey. Eingeschlossen wurden erwachsene Patientinnen und Patienten (≥ 18 Jahre), die seit dem 23.09.2020 einen PCR-Test in einem Testzentrum einer großen Hausarztpraxis in Schönebeck/Elbe (Salzlandkreis; Sachsen-Anhalt) buchten und auf SARS-CoV-2 getestet wurden. In zwei Erhebungswellen (T1: 04.03. bis 03.04.2022 und T2: 11.05. bis 10.06.2022) mit jeweils zwei Erinnerungsschreiben wurden die Nutzerinnen und Nutzer des PCR-Testzentrums per E-Mail gebeten, einen Onlinefragebogen auszufüllen. Der selbst entwickelte Fragebogen umfasst 26 Items und beinhaltet Fragen zu einer SARS-CoV-2-Infektion inklusive jeglicher und persistierender Beschwerden (n = 20), Dauer1 und Stärke der Beschwerden (5-stufige Likert-Skala) sowie zur Inanspruchnahme von medizinischer Behandlung. Bereits bestehende Vorerkrankungen wurden ebenfalls erfragt. Soziodemografische Angaben zu Alter, Geschlecht, aktueller Erwerbstätigkeit, Landkreis des Wohnortes sowie zu Rauchverhalten und zum Covid-19-Impfstatus runden den Fragebogen ab. Ein Pretest auf Verständlichkeit und Handhabbarkeit erfolgte im Team des durchführenden Arbeitsbereiches. Ein positives Votum der zuständigen Ethikkommission liegt vor (Votum vom 07.05.2021 der Studie 45/21). Die Auswertung erfolgte deskriptiv mit der Statistiksoftware SPSS (Version 28.0, IBM, Armonk, NY, USA).
1 mit den Antwortmöglichkeiten: bis 2 Wochen; > 2 Wochen bis 4 Wochen, > 4 Wochen bis 3 Monate, > 3 Monate bis 6 Monate, > 6 Monate
Ergebnisse
Rücklauf
In der ersten Erhebungswelle wurden n = 3.117 Personen und in der zweiten Erhebungswelle n = 467 Personen per E-Mail angeschrieben. Insgesamt füllten in der ersten Erhebungswelle n = 484 (15,5 %) der Angeschriebenen den gesamten Fragebogen aus, wobei n = 220 (7,1 %) Teilnehmerinnen und -teilnehmer das Einschlusskriterium eines positiven PCR-Tests auf SARS-CoV-2 erfüllten (Selbstauskunft). Bei der zweiten Erhebungswelle füllten n = 99 (21,2 %) den gesamten Fragebogen aus, wovon n = 62 (13,3 %) einen positiven PCR-Test in der Eigenanamnese angaben. In der ersten Welle lag bei n = 112 (50,9 %) Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern die SARS-CoV-2 Infektion mindestens drei Monate zurück, in der zweiten Erhebungswelle bei n = 44 (71,0 %). Aufgrund der Rekrutierungsmethode kann keine belastbare Rücklaufquote berechnet werden. Ein Datensatz wurde ausgeschlossen, da nur wenige Items beantwortet wurden, sodass n = 155 (5,0 %) Personen in die Datenanalyse einbezogen wurden (Tabelle 1).
Soziodemografische Angaben
Von den insgesamt n = 155 Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern war der Großteil Frauen (70,3 %). Die meisten Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer waren 30 bis 39 Jahre (25,3 %) bzw. 50 bis 59 Jahre (21,4 %) alt. Lediglich 1,3 % der Teilnehmenden war 70 Jahre und älter (Tabelle 2). Die meisten Teilnehmenden haben ihren Wohnsitz im Salzlandkreis, in dem sich ebenfalls das PCR-Testzentrum befindet (91,0 %). Gut drei Viertel der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer stehen in einem Arbeitsverhältnis (angestellt bzw. verbeamtet); 6,5 % sind berentet. Gesundheitsrelevante Angaben wie Vorerkrankungen und aktuelles Rauchverhalten sind in Tabelle 3 dargestellt.
Beschwerden
Lediglich 2,6 % der Studienpopulation (n = 4) berichtet von einer asymptomatischen SARS-CoV-2-Infektion. Im Durchschnitt wurden 5,99 (SD 3,58) Symptome angegeben. Ausmaß und Dauer der angegebenen Beschwerden sowie die Inanspruchnahme von ärztlichen Leistungen sind aus Tabelle 4
(S. 26) ersichtlich. Drei Monate nach einer SARS-CoV-2-
Infektion werden am häufigsten folgende persistierende Beschwerden genannt: Erschöpfung (31,0 %), Konzentrationsprobleme (25,2 %), Atemnot und andere Atembeschwerden (21,9 %) sowie eingeschränkter Geruchssinn (19,4 %), Schlafstörungen (16,8 %), eingeschränkter Geschmackssinn (13,5 %) und Gliederschmerzen (11,6 %) (Abb. 1, S. 25). Ein Blick auf die Stärke der Beschwerden zeigt, dass diese von den Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern häufig als intensiv eingeordnet werden; besonders die Einschränkung des Geruchssinns wurde im Mittel mit 4,2 und einem Median von 5,0 auf einer 5-stufigen Likertskala als stark beeinträchtigend eingestuft. Dennoch führen die meisten Beschwerden zu keiner ärztlichen Konsultation. Lediglich Patientinnen und Patienten mit Husten, Herz- und Atembeschwerden nahmen prozentual gesehen am häufigsten ärztliche Behandlung in Anspruch.