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Innovatives Abnabelungs- und Erstversorgungskonzept für Früh- und Risikoneugeborene unter Einsatz des Concord Birth Trolley®

Implementierung des Concord Birth Flow in Geburtshilfe und Neonatologie am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale) GmbH

Implementierung des Concord Birth Flow in Geburtshilfe und Neonatologie am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale) GmbH

Foto: stock.adobe.com/#533382293

K. Oettel1, B. Valentijn2 sowie S. Seeger3

1 Chefarzt der Klinik für Neonatologie und Kinderintensivmedizin, Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale) GmbH, Halle (Saale)
2 Concord Neonatal, 2312 NV Leiden, The Netherlands
3 Chefarzt der Klinik für Geburtshilfe, Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale) GmbH, Halle (Saale)

Dr. Klaus Oettel

K. Oettel1, B. Valentijn2 sowie S. Seeger3

1 Chefarzt der Klinik für Neonatologie und Kinderintensivmedizin, Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale) GmbH, Halle (Saale)
2 Concord Neonatal, 2312 NV Leiden, The Netherlands
3 Chefarzt der Klinik für Geburtshilfe, Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale) GmbH, Halle (Saale)

Einleitung

Die Neonatologie hat sich in den letzten 40 Jahren rasant entwickelt. Nach der Einführung von natürlichen Surfactant-Präparaten in die Therapie des neonatalen Atemnotsyndroms wurden zunehmend schonende Beatmungsstrategien in die klinische Routine implementiert. Es reifte die Erkenntnis, dass auch sehr kleine Frühgeborene nur mit non-invasiver Atemunterstützung gut den Schritt ins Leben finden können. In den neonatologischen Fachkreisen hat man sich in den letzten 15 Jahren dann zunehmend mit den „goldenen ersten Minuten“ des Lebens beschäftigt [1, 2]. Damit ist die Zeit gemeint, in welcher sich das Neugeborene nach Spontangeburt an das Leben außerhalb des Mutterleibes anpasst bzw. das Frühgeborene oder Risikoneugeborene – ggf. nach Sectioentbindung – erstversorgt wird.

Es wurde schon lange vermutet, dass ein verzögerter Abnabelungsprozess Vorteile für das Kind haben könnte [3]. Das Kind wurde jedoch meist, zumindest bei Entbindung per Sectio oder im Falle respiratorischer Probleme, bis vor einigen Jahren abrupt von der maternalen Versorgung über Plazenta und Nabelschnur getrennt. Mittlerweile ist dieser Weg zugunsten der Strategie eines verzögerten Abnabelns („delayed oder deferred cord clamping“) über 30 bis 60 (ggf. bis 120) Sekunden verlassen worden, denn es wurde in Studien nachgewiesen, dass diese Strategie für die kardiopulmonale Adaptation Neugeborener von Vorteil ist [4, 5, 6].

Zielstellung

Mit diesem Artikel wird ein neues Therapiekonzept vorgestellt und ein neues Verständnis für die physiologischen und ggf. pathophysiologischen Vorgänge in den „golden first minutes of life“ etabliert, um damit letztendlich einen Behandlungsvorteil für Früh- oder Risikoneugeborene abzuleiten.

Um zu verstehen, was während der kardiopulmonalen Anpassung bei der Geburt geschieht und warum ein verzögertes Abnabeln sinnvoll ist, muss man zunächst die Besonderheiten des fetalen Kreislaufs im Mutterleib betrachten. Der Kreislauf weist Ähnlichkeiten, aber auch strukturelle und funktionelle Unterschiede im Vergleich zum kindlichen und erwachsenen Kreislauf auf.

Der fetale Kreislauf:

Der pulmonale Gefäßwiderstand ist im fetalen Kreislauf hoch, die Lungen sind mit Flüssigkeit gefüllt. Die Plazenta versorgt das Blut mit Sauerstoff.

Der fetale Kreislauf ist Duktus-abhängig, großer und kleiner Kreislauf sind parallelgeschaltet, im großen Kreislauf liegt ein niedriger Gefäßwiderstand vor:

> Der rechte Ventrikel pumpt das Blut nicht in den Lungenkreislauf (aufgrund des hohen pulmonalen Gefäßwiderstandes), sondern über den Ductus arteriosus Botalli in die absteigende Aorta und über die Arteria iliaca und die Arteria umbilicalis zur Plazenta.
> In der Plazenta ist der Gefäßwiderstand niedrig, hier vollziehen sich Oxygenierung und Nährstofftransfer bzw. Entgiftung.
> Oxygeniertes Blut aus der Plazenta fließt über die Nabelvene in den Ductus venosus Arantii und über die Vena cava inferior durch das
> Foramen ovale und liefert die Vorlast für den linken Vorhof und den linken Ventrikel.
> Der linke Ventrikel pumpt das Blut hauptsächlich zum Gehirn und zum Herzen, um insbesondere diese lebenswichtigen Organe mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen.

Der fetale Kreislauf

Gemeinsam sind:

> Die rechte Herzkammer pumpt das Blut zu dem Organ, welches die Sauerstoffversorgung sicherstellt.
> Die linke Seite des Herzens erhält Blut (Vorlast) von diesem Organ.

Der Übergang von plazentarer zu pulmonaler Zirkulation und Oxygenierung hat eine klare physiologische Abfolge. Diese stellt sich, wie folgt, dar:

> Die Belüftung der Lunge senkt den pulmonalen Gefäßwiderstand.
> Der Blutfluss aus dem rechten Ventrikel wird in zunehmendem Maße in die Lunge umgeleitet (aber auch noch über den Ductus Botalli in die absteigende Aorta).
> Die Vorlast des linken Ventrikels wird durch den Nabelvenenrückfluss aufrechterhalten, bis die Lungendurchblutung ausreichend erhöht ist, um die Vorlast von linkem Vorhof und linkem Ventrikel zu gewährleisten.

Bei Termingeborenen erfolgt der Beginn dieser physiologischen Umstellung in der Regel bei der Geburt, indem sie spontan zu atmen beginnen.

Die Patientengruppe der Frühgeborenen unter SSW 34 und dabei diejenige der sehr untergewichtigen Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht von unter 1.500 g ist hier als besonders zu betrachten, da bei diesen, neben dem Wärmehaushalt, vor allem das Einsetzen der spontanen Lungenatmung Probleme bereiten kann.

Wenn die Atmung verzögert einsetzt, wird die Nabelschnur in der Regel vom Geburtshelfer abgeklemmt und das kardiopulmonal deprimierte Neugeborene auf eine Reanimationseinheit verlegt. Hier kann der hinzugerufene Kinderarzt das Neugeborene versorgen. Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Moment die suffiziente Belüftung der Lungen. Ferner ist in dieser Situation die Gabe von Volumen indiziert (Etablierung der Vorlast).

Durch das Einsetzen der Spontanatmung wird eine Verschiebung des Blutvolumens von der Plazenta zum Neugeborenen eingeleitet. Je nach Gestationsalter können zwischen 30 % bis 45 % des zirkulierenden Blutvolumens in der Plazenta gepoolt sein. Insofern ist das Abklemmen der Nabelschnur, bevor die Lunge belüftet ist, für das Neugeborene von Nachteil.

Was im Falle des Abklemmens der Nabelschnur geschieht, ist folgendes:

> Der pulmonale Gefäßwiderstand sinkt nicht, damit ist die Vorlast für das linke Herz über den Lungenkreislauf nicht gegeben.
> Die Vorlast für das linke Herz über die Nabelschnur geht verloren.
> Der Verlust der Vorlast führt zu einem Abfall der Herzfrequenz.
> Die Nachlast des rechten Ventrikels steigt an: das Stromgebiet mit niedrigem Gefäßwiderstand, die Plazenta, ist weggefallen. Das rechte Herz muss nun gegen einen hohen peripheren Gefäßwiderstand anarbeiten.
> Der Anstieg der Nachlast führt zu einem Anstieg des mittleren Blutdrucks, damit das Gehirn (Stromgebiet mit vorher niedrigem Gefäßwiderstand) das zum Überleben notwendige sauerstoffreiche Blut erhält.
> Das Blut wird im Extremfall nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff angereichert, der Organismus verbraucht jedoch den verfügbaren Sauerstoff.

Aus diesem Grund entwickelte man in den 2010er Jahren das Konzept des „Physiological Based Cord Clamping“ für Frühgeborene, also eine Möglichkeit das Kind bei der physiologischen Anpassung zu unterstützen. Die Abnabelung erfolgt hier erst nach Unterstützung der Lungenentfaltung sowie Einsetzen und Stabilisierung der Eigenatmung des Kindes bei stabilen kardio-pulmonalen Verhältnissen. Die Kinder sollen sich hier, noch an der Nabelschnur und über die Plazenta versorgt, schonend an die Verhältnisse außerhalb des Mutterleibes anpassen, bis sich die Spontanatmung stabilisiert hat. Um diese Strategie auch für sehr untergewichtige Frühgeborene anwendbar zu machen, wurde in den Niederlanden der sogenannte Concord Birth Trolley® entwickelt.

Dieses System ist im vierten Quartal 2023 am Perinatalzentrum der höchsten Versorgungsstufe am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle (Saale) in die klinische Routine eingeführt worden. Das Konzept des verzögerten Abnabelns wurde hier bereits in den frühen 2010er Jahren etabliert. Bei dem System handelt es sich um eine Art fahrbare Versorgungseinheit, an welche alle für den sogenannten „Concord Birth Flow“ notwendigen Geräte angebracht werden.

Concord Birth Trolley®: links: „Rohzustand“, rechts: voll aufgerüstetes System

Concord Birth Trolley®: oben: „Rohzustand“, unten: voll aufgerüstetes System

Dies sind:

> Wärmestrahler
> Pulsoxymeter
> Generator für kontinuierlichen positiven Atemwegsdruck (CPAP) mit T-Stück
> Luft-Sauerstoff-Mischer (Blender) zur Regelung der fraktionierten inspiratorischen Sauerstoff-Konzentration (FiO2)
> Gasflaschenhalterungen (Druckluft und Sauerstoff)
> Atemgasbefeuchter
> Absaugung

Der Versorgungstisch für das Frühgeborene ist höhenverstellbar und kann geschwenkt werden. Zudem hält er eine Aussparung für die Nabelschnur vor. Prinzipiell ist das System sowohl für den Einsatz im Sectiosaal als auch für den Einsatz im Kreißsaal vorgesehen. Beim Einsatz im Sectio-„OP“ muss das System unter sterilen Bedingungen aufgerüstet werden. Während der Versorgung des Kindes ist dann von geburtshilflicher als auch neonatologischer Seite akribisch auf den sterilen Bereich des OP-Feldes zu achten.

Die Implementierung des Systems erfolgte nach einer Planungsphase dergestalt, dass nach einer kurzen theoretischen Schulung zur Physiologie der Adaptation und seiner Pathophysiologie (siehe oben) das System im Beisein eines fach- und sachkundigen Mitarbeiters (der das System vertreibenden Firma) in der klinischen Routine eingesetzt wurde. Zwingend notwendig war vorher die Einbeziehung des OP-Personals zur Abstimmung der etwas abzuändernden Abläufe. Zunächst wurden im Sectio-OP bei einem Reifgeborenen das Vorgehen geübt und im Folgenden optimiert. Im weiteren Verlauf wurde dann sehr zügig die Versorgung von Frühgeborenen der eigentlichen Zielgruppe ins Auge gefasst und realisiert.

Der Concord Birth Flow bei einem per Sectio entbundenen Frühgeborenen

Bild 1: OP-Vorbereitung und Systemcheck

Bild 2: Entwicklung des Kindes

Bild 3: Lagerung in steriler Folie

Bild 4: Lagerung in steriler Folie

Bild 5: Anbringen des Pulsoxymetriesensors präduktal

Bild 6 & 7: respiratorische Unterstützung mittels nCPAP, noch pulsierende Nabelschnur

Bild 8 & 9: Beobachtung der Adaptation unter nCPAP und Auspulsieren der Nabelschnur

Bild 10: Warten bis die exit-procedure-Kriterien erreicht sind

Bild 11: Transport des Frühgeborenen aus dem Sectio-OP auf die NICU
Bild 12: Transport des Frühgeborenen aus dem Sectio-OP auf die NICU
Bild 13: Weiterversorgung des Frühgeborenen auf der Neonatal Intensive Care Unit (NICU)

Die Versorgung von sehr untergewichtigen und/ oder sehr unreifen Frühgeborenen zeigte in unserem klinischen Setting seit Oktober 2023 in etwa 30 Fällen gute Erfolge. Die Frühgeborenen adaptieren sich unter dem Wärmestrahler langsam und schonend, während sie noch über die Nabelschnur und die Plazenta versorgt werden. Bei Bedarf wird über das CPAP-System die respiratorische Adaptation unterstützt und Sauerstoff supplementiert. Positiver Nebeneffekt ist immer ein Bluttransfer zum Kind über das Auspulsieren der Nabelschnur in der Zeit, bis die Kriterien zur Abnabelung (exit-procedure-Kriterien) erreicht sind:

> HF stabil > 100 bpm
> SpO2 stabil > 85 %
> FiO2 stabil < 40 %

Erfahrungsgemäß dauert dies zwischen 3 und 6 Minuten. Metaanalysen haben einen positiven Effekt auf das Outcome nachgewiesen [7, 8]. Nach Abnabelung erfolgt der Transfer des Kindes auf der Versorgungseinheit zur neonatologischen Intensivstation und dort dann die weitere Versorgung (ggf. Surfactant-Gabe, Anlage i.v.-Zugang etc.). Bei mütterlichen Problemen ist eine frühere Beendigung der Prozedur und ein rascher Transport auf die neonatologische Intensivstation jederzeit möglich. Ergänzend sei erwähnt, dass die Implementierung des Concord Birth Flow in die klinische Routine auch weiterhin durch die neonatologischen Fachkreise begleitet wird, um weiteres Optimierungspotenzial zu identifizieren [9].

Mit der Einführung des Systems in die klinische Routine wurde eine wesentliche Verbesserung der Erstversorgung von Frühgeborenen vor allem vor dem Hintergrund der gezeigten physiologischen und pathophysiologischen Überlegungen erreicht. Die mittels Concord Birth Flow erstversorgten Frühgeborenen zeigten weniger hämodynamische Instabilität als andere Frühgeborene, wir mussten keine frühe oder späte Mortalität dokumentieren. Aus diesem Grund wird im Perinatalzentrum am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale) GmbH der Concord Birth Flow zur Versorgung von Früh- und Risikoneugeborenen mittlerweile häufig angewendet.

Korrespondenzanschrift:

Dr. med. Klaus Oettel
Chefarzt der Klinik für Neonatologie und
Kinderintensivmedizin
Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale) GmbH
Mauerstraße 5, 06110 Halle (Saale)
Tel.: 0345/213 4321 (Sekretariat)
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Literatur
  1. Hooper et al: Cardiovascular transition at birth: a physiological sequence; Pediatr Res 2015; 77 (5) online.
  2. Kluckow et al.: Using physiology to guide time to cord clamping. Semin Fetal Neonatal Med. 2015 Aug;20(4):225-231.
  3. Taylor et al.: Effect of early versus delayed clamping of the umbilical cord on the clinical condition of the newborn infant. Am J Obstet Gynecol. 1963 Aug 1:86:893-898.
  4. Knol et al.: Physiological-based cord clamping in very preterm infants – Randomised controlled trial on effectiveness of stabilisation. Resuscitation. 2020 Feb 1, 147:26-33.
  5. Knol et al.: Physiological-based cord clamping in very preterm infants: the Aeration, Breathing, Clamping 2 (ABC2) trial-study protocol for a multicentre randomized controlled trial. Trials. 2022 Oct 1;23(1):838.
  6. Nevill et al.: Effect of Breathing Support in Very Preterm Infants Not Breathing During Deferred Cord Clamping: A Randomized Controlled Trial (The ABC Study); J Pediatr. 2023 Feb, 253:94-100.
  7. Seidler et al.: Deferred cord clamping, cord milking, and immediate cord clamping at preterm birth: a systematic review and individual participant data meta-analysis; The Lancet 2023 Dec 9;402(10418):2209-2222.
  8. Seidler et al.: Short, medium, and long deferral of umbilical cord clamping compared with umbilical cord milking and immediate clamping at preterm birth: a systematic review and network meta-analysis with individual participant data. Lancet. 2023 Dec 9;402(10418):2223-2234.
  9. Lakshminrusimha et al.: Lung Aeration During Deferred Cord Clamping-No Additional Benefits in Infants Born Preterm? J Pediatr. 2023 Apr, 255:11-15.

Fotos: Abteilung Unternehmenskommunikation und Marketing, Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale) GmbH