Zum Hauptinhalt springen

Im Rahmen der Mitteldeutschen Herztage:

7. Kardiologische und Herzchirurgische Konsensuskonferenz in Sachsen-Anhalt

7. Kardiologische und Herzchirurgische Konsensuskonferenz in Sachsen-Anhalt

Einleitung

Die mittlerweile 7. kardiologische und herzchirurgische Konferenz Sachsen-Anhalt fand in diesem Jahr am 06.09.2024 wieder im Rahmen der Mitteldeutschen Herztage im Löwengebäude in Halle (Saale) statt. Wie bereits zuvor war das Format für die teilnehmenden Ärzte der Mitteldeutschen Herztage offen. Insgesamt beteiligten sich 37 Ärztinnen und Ärzte (Kardiologen, Herzchirurgen, Internisten, Allgemeinmediziner sowie Ärzte aus anderen Berufsgruppen) an den Abstimmungen.

Frau apl. Prof. Dr. med. Britt Hofmann

Gerinnungshemmung nach Aortenklappenersatz

Im ersten Teil der Konsensuskonferenz stellte die Herzchirurgin Frau apl. Prof. Dr. med. Britt Hofmann aus dem Universitätsklinikum Halle (Saale) das Thema der Gerinnungshemmung nach Aortenklappenersatz vor:

In den letzten Jahren haben zahlreiche Studien zeigen können, dass im Allgemeinen Patientinnen und Patienten nach Aortenklappenersatz von einer gerinnungshemmenden Monotherapie profi-
tieren. Eine zusätzliche Gerinnungshemmung führt zu einem signifikanten Anstieg der Blutungskomplikationen ohne wesentlich vor ischämischen Ereignissen zu schützen. Der Evidenz folgend sind die Empfehlungen zur Monotherapie in den nationalen und internationalen Leitlinien fixiert worden. Ausnahmen stellen z. B. Patientinnen und Patienten mit akutem Koronarsyndrom (ACS) in zeitlicher Assoziation zum Aortenklappenersatz dar, bei denen bei niedrigem Blutungs- aber hohem Ischämie-Risiko eine kombinierte gerinnungshemmende Therapie bis zu 12 Monate nach ACS sinnvoll sein kann. Leider besteht jedoch nach wie vor Unsicherheit bzgl. des Vorgehens, so dass viele Patientinnen und Patienten in Sachsen-Anhalt mit einer Kombinationstherapie verschiedener Gerinnungshemmer z. T. dauerhaft behandelt werden. Nachdem Frau apl. Prof. Dr. med. Britt Hofmann die komplexe Thematik dargestellt hatte, wurden drei Statements zur Abstimmung vorgestellt:

  1. Bei Patientinnen und Patienten nach biologischem Aortenklappenersatz/TAVI mit oder ohne aortokoronare Bypassversorgung (kein ACS) im Sinusrhythmus sollte bei fehlenden anderen Indikationen für eine orale Antikoagulation eine einfache Thrombozytenaggregationshemmung (ASS 100 mg/d oder Clopidogrel 75 mg/d) verordnet werden.
    Per TED-Abstimmung der anwesenden Kolleginnen und Kollegen: 93 % Zustimmung.

  2. Bei Patientinnen und Patienten nach biologischem Aortenklappenersatz/TAVI mit oder ohne aortokoronare Bypassversorgung (kein ACS) mit Vorhofflimmern ohne LAA-Verschluss sollte eine orale Antikoagulation (VKA oder DOAC) als Monotherapie im Regelfall erfolgen.
    Per TED-Abstimmung der anwesenden Kolleginnen und Kollegen: 97 % Zustimmung.

  3. Bei Patientinnen und Patienten nach mechanischem Aortenklappenersatz und aortokoronarer Bypassversorgung (kein ACS) mit oder ohne Vorhofflimmern muss eine orale Antikoagulation mit VKA lebenslang erfolgen. Unter Abwägen des Blutungs- und Ischämierisikos kann eine einfache Thrombozytenaggregationshemmung (z. B. ASS 100 mg/d) zusätzlich erfolgen.
    Per TED-Abstimmung der anwesenden Kolleginnen und Kollegen: 75 % Zustimmung.

Somit gelang es in allen genannten Punkten einen Konsens zu erzielen.

Fahreignung nach Herzoperationen und bei Herzerkrankungen

Im zweiten Teil präsentierte Herr Prof. emer. Herrmann Klein aus Idar-Oberstein das Thema „Fahreignung nach Herzoperationen und bei Herzerkrankungen“, mit dem er sich in den letzten Jahren insbesondere in der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie u. a. als Erstautor der Pocket-Leitlinie „Fahreignung bei kardiovaskulären Erkran-kungen“ maßgeblich beschäf-tigt hat. Seinem Vortrag stellte er zunächst zwei Zitate aus der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) voraus:

Prof. Herrmann Klein

> „§2 „Wer sich infolge körperlicher oder geistiger Mängel nicht sicher im Verkehr bewegen kann, darf am Verkehr nur teilnehmen, wenn Vorsorge getroffen ist, dass er andere nicht gefährdet“.

> „Unterschieden werden die Fahrzeugklassen der Gruppe 1 (privater PKW oder Motorrad) und die Gruppe 2 (Berufsfahrer von LKW, Bus, Krankenwagen, Taxi etc.).“

Auch wenn der KFZ-Führende immer selber einschätzen muss, ob er fahrtauglich ist, betonte Herr Prof. Dr. Klein, dass die behandelnden Ärztinnen und Ärzte gesetzlich verpflichtet sind, Patientinnen und Patienten über eine fehlende Fahreignung zu informieren und dies in den Patientenunterlagen zu dokumentieren.

Ein stichwortartiger Extrakt der wichtigsten Empfehlungen zur Fahreignung bei kardiovaskulären Erkrankungen entsprechend der FeV sind im Folgenden ohne Garantie auf Gewähr dargestellt (Abb. 1).

Zusätzlich zu diesen der FeV entnommenen Empfehlungen stellte Herr Prof. Klein noch weitere, spezielle Aspekte der Fahreignung zur Diskussion und Abstimmung vor (Tab. 1, S. 32).

Somit gelang es mit Ausnahme der Empfehlung zum Vorgehen nach Implantation eines elektrodenlosen Schrittmachers in allen Punkten einen Konsens zu erzielen. In seiner abschließenden Zusammenfassung machte Herr Prof. Klein noch einmal deutlich, dass der Behandelnde seine Patientinnen und Patienten über eine fehlende Fahreignung bei kardiovaskulären Erkrankungen informieren muss (Sicherungsaufklärung), und dass auch nach weniger invasiven Eingriffen am kardiovaskulären System die Fahreignung eines Patienten im Rahmen seiner Behandlung zu berücksichtigen ist.

Abbildung 1: Nach Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Stand: 01.06.2022. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit Heft M 115

Stabile Angina pectoris / nach PCI:
Gruppe 1
In der Regel keine Restriktion. Nach PCI und gutem klinischen Ergebnis ist die Fahreignung gegeben.
Gruppe 2
4 Wochen nach PCI mit gutem klinischem Ergebnis kann die Fahreignung wieder gegeben sein. Jährliche fachärztliche Kontrolluntersuchungen sind notwendig. Bei symptomatischer Angina auf niedriger Belastungsstufe ist die Fahreignung nicht gegeben.

Periphere arterielle Verschlusskrankheit
Gruppe 1
Bei Ruheschmerzen liegt keine Fahreignung vor. Nach erfolgreicher Operation oder Intervention mit unkompliziertem Verlauf kann die Fahreignung nach einer Rekonvaleszenz von etwa 1 Woche postoperativ oder 24 Stunden nach Intervention wieder gegeben sein.
Gruppe 2
Bei Ruheschmerzen ist die Fahreignung nicht gegeben. 4 Wochen nach erfolgreicher Operation oder 1 Woche nach erfolgreicher Intervention kann die Fahreignung nach fachärztlicher individueller Einschätzung vorliegen.

Herzunterstützungssysteme (VAD)
Gruppe 1
Die Fahreignung kann nach individueller fachärztlicher Beurteilung wieder gegeben sein.
Gruppe 2
Die Fahreignung ist generell nicht mehr gegeben.

Herzschrittmacher
Gruppe 1
Nach Schrittmacherimplantation oder Schrittmacherwechsel ist die Fahreignung gegeben. Eine adäquate Schrittmacherfunktion und eine entsprechende Wundheilung müssen kardiologisch bestätigt werden.
Gruppe 2
Nach Schrittmacherimplantation ohne Schrittmacherabhängigkeit und ohne Synkopen in der Anamnese sowie nach Aggregatwechsel ist die Fahreignung nach 1 Woche wieder gegeben. Mit Synkopen, bei Schrittmacherabhängigkeit und nach Elektrodenwechsel ist die Fahreignung nach 4 Wochen gegeben. Eine adäquate Schrittmacherfunktion und eine entsprechende Wundheilung müssen kardiologisch bestätigt werden

Synkopen, nicht operierte Herzklappenvitien, arterielle Hypertonie, u.a. siehe Literaturnachweis

Tabelle 1: Weitere, spezielle Aspekte der Fahreignung

Nachsorge nach Herzschrittmacher- und ICD-Therapie

Im dritten Teil stellte sich Herr Dr. med. Udo Zacharzowsky aus dem Johanniter Krankenhaus Stendal dem schwierigen Thema der Nachsorge nach Herzschrittmacher- und ICD-Therapie: In vielen Lehrbüchern, der aktuellen Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) zur Herzschrittmacher- und Resynchronisationstherapie (1) und nach Meinung der meisten Implanteure, auch in Sachsen-Anhalt, sollten Patientinnen und Patienten nach Herzschrittmacher- oder ICD-Implantation Bewegungen des Armes auf der Implantationsseite nach hinten und/oder oben für mindestens 4-6 Wochen vermeiden.

Herr Dr. med. Udo Zacharzowsky

Grund hierfür ist die Furcht vor Komplikationen wie Blutungen im Bereich der Tasche, Wundinfektionen oder Fehlfunktionen/Dislokationen der Sonden. Evidenzbasiert sind diese Empfehlungen jedoch nicht. Demzufolge gibt es in der Literatur Widerspruch. So wird in einem zeitgleich zur ESC-Leitlinie publizierten Experten-Konsensus-Statement der European Heart Rhythm Association (EHRA) zur optimalen Implantationstechnik von Herzschrittmachern und ICD aus dem Jahr 2021 klargestellt, dass keine Evidenz für eine Empfehlung zur Einschränkung der Armbeweglichkeit nach einer Implantation besteht (2). Die Autoren dieses Konsensus-Dokumentes berichten über eine randomisierte Studie, in der bei restriktiven Empfehlungen zu Armbewegungen für 6 Wochen nach Implantationen signifikant mehr Schulterschmerzen angegeben wurden, ohne dass weniger Komplikationen auftraten (2). Herr Dr. Zacharzowsky stellte noch weitere Studien vor, die zeigen konnten, dass die vom Patienten selbstbestimmte, schmerzgesteuerte Bewegung des Implantationsarmes Beschwerden des betroffenen Schultergelenkes verhindern ohne Komplikationen wie Blutungen, Sondendislokationen, u. a. zu verursachen. Die größte dieser Studien schloss über 590 Patienten aus Japan im randomisierten Vergleich zwischen einem restriktiven und einem offenen Vorgehen bzgl. der Armbeweglichkeit nach Schrittmacherimplantation ein (3).

Komplikationen nach Implantation eines CIEDs (cardiac implantable electronic device) können durch
weitere Maßnahmen verhindert werden. Zur Vermeidung von Blutungen betonte Herr Dr. Zacharzowsky,
dass insbesondere die leitliniengerechten Empfehlungen zur Unterbrechung einer gerinnungshemmenden Therapie beachtet werden müssen. Weiterhin werden Wundinfektionen weniger wahrscheinlich, wenn die Wunde maximal 10 Tage durch einen Verband bedeckt und Routine-Wundinspektionen vermieden werden (2). Zur Verhinderung eines Pneumothorax oder einer Sondenfehlfunktion ist die Implantationstechnik mit Präferenz zur Punktion der V. cephalica oder V. axillaris unter Vermeidung der Punktion der V. subclavia entscheidend. Nicht zuletzt sind Komplikationen durch die richtige Fixierung des Implantates zu verhindern (2). In der abschließenden TED-Abstimmung wurden drei Fragen gestellt:

  1. Nach Implantation eines CIED (cardiac implantable electronic device) sollten die Patientinnen und Patienten ermutigt werden, den Arm auf der operierten Seite nach Abklingen eines möglichen Wundschmerzes ohne zeitliche Begrenzung wieder normal zu bewegen.
    Per TED-Abstimmung der anwesenden Kolleginnen und Kollegen: 91 % Zustimmung.

  2. Nach Implantation eines CIED sollten Patientinnen und Patienten beim Sport dauerhaft Bewegungen vermeiden, die über Kopf eine maximale Dehnung und eine Bewegungsausführung mit maximaler Schnellkraft erfordern (z. B. Wurfarm beim Handball, Volleyball, Reckturnen, Kraulschwimmen).
    Per TED-Abstimmung der anwesenden Kolleginnen und Kollegen: 58 % Zustimmung, kein Konsens.

  3. Nach Implantation eines CIED sollten den Patientinnen und Patienten individuelle Empfehlungen zum Sporttreiben entsprechend ihrer kardialen Grunderkrankung gegeben werden.
    Per TED-Abstimmung der anwesenden Kolleginnen und Kollegen: 100 % Zustimmung.

Leider gelang es nicht, eine Diskussion im Auditorium bzgl. der nicht konsentierten Frage 2 bzgl. der Empfehlungen zur sportlichen Aktivität zu führen.

Zusammenfassung

Auch wenn es nicht gelungen ist in allen Fragen einen Konsens zu erzielen, konnte gemeinsam eine zeitgemäße Behandlung der Patientinnen und Patienten mit Herzkreislauferkrankungen bzgl. der Themen Gerinnungshemmung nach Aortenklappenersatz, Fahreignung bei Herz-Kreislauferkrankungen und Nachsorge nach Implantation von kardialen Devices für unser Bundesland festgelegt werden. Eine Fortsetzung der Veranstaltung ist für 2025 geplant.

Korrespondenzadresse:

apl. Prof. Dr. med. Axel Schlitt, MHA
Paracelsus-Harz-Klinik Bad Suderode
Paracelsusstraße 1, 06485 Quedlinburg
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Tel.: 039485/99 0/900, Fax: 039485/99 814

Literatur:

  1. Glikson M, Nielsen JC, Kronborg MB, Michowitz Y, Auricchio A, Barbash IM, Barrabés JA, Boriani G, Braunschweig F, Brignole M, Burri H, Coats AJS, Deharo JC, Delgado V, Diller GP, Israel CW, Keren A, Knops RE, Kotecha D, Leclercq C, Merkely B, Starck C, Thylén I, Tolosana JM; ESC Scientific Document Group. 2021 ESC Guidelines on cardiac pacing and cardiac resynchronization therapy. Eur Heart J. 2021; 42: 3427-3520. doi: 10.1093/eurheartj/ehab364.
  2. Burri H, Starck C, Auricchio A, Biffi M, Burri M, D'Avila A, Deharo JC, Glikson M, Israel C, Lau CP, Leclercq C, Love CJ, Nielsen JC, Vernooy K; Reviewers:; Dagres N, Boveda S, Butter C, Marijon E, Braunschweig F, Mairesse GH, Gleva M, Defaye P, Zanon F, Lopez-Cabanillas N, Guerra JM, Vassilikos VP, Martins Oliveira M. EHRA expert consensus statement and practical guide on optimal implantation technique for conventional pacemakers and implantable cardioverter-defibrillators: endorsed by the Heart Rhythm Society (HRS), the Asia Pacific Heart Rhythm Society (APHRS), and the Latin-American Heart Rhythm Society (LAHRS). 2021; 23: 983-1008. doi: 10.1093/europace/euaa367. PMID: 33878762.
  3. Takeda T, Tsubaki A, Ikeda Y, Kato R, Kojima S, Makita S. Impact of raising the upper extremity siding cardiac implantable electrical devices on postoperative safety. J Arrhythm. 2023; 39: 586-595. doi: 10.1002/joa3.12884.